Eusebio Leal ist tot

Eusebio Leal, Stadthistoriker von Havanna (Foto: Roberto Chile)
Eusebio Leal

Die Nachricht über den Tod von Eusebio Leal am 31.Juli 2020 machte mich traurig und betroffen. Ich hatte die Gelegenheit, diesen beeindruckenden Menschen während eines 2-monatigen Arbeitsaufenthaltes in seiner Oficina kennen zu lernen.

Der Wunsch, einmal in seinem Büro zu arbeiten, entstand nach einer ausgedehnten Reise durch Kuba. Mich interessierte die Arbeit des Stadthistorikers, ich wollte erfahren, wie eine so anspruchsvolle Arbeit geplant und realisiert wird. Havanna mit seiner reichen Geschichte, seinen einzigartigen Plätzen und Bauwerken hatte mich in ihren Bann gezogen.

Als ich am ersten Tag das Büro der «Arquitectura Patrimonial» an der Calle Mercaderes betrat, war ich beeindruckt von dem renovierten 2-stöckigen Altbau mit Innenhof und umlaufenden Galerien. In allen Räumen arbeiten junge, fröhliche Menschen. Mir wurde ein Zeichentisch zurechtgerückt und ich konnte mit der Arbeit beginnen.

Eusebio Leal habe ich über die vielen Jahre, in denen das Wohnhaus an der Calle Aguiar 68 geplant und ausgeführt wurde bei der Arbeit und in persönlichen Gesprächen kennengelernt. Seine Präsenz und Aufmerksamkeit war beeindruckend, sein Arbeitstempo und seine Entschlossenheit eine Herausforderung, sein umfassendes Wissen und sein Weitblick eine Offenbarung.

Es war offensichtlich, dass seine Mitarbeiter ihn achteten und respektierten. Sie bewunderten seine sprachliche Gewandtheit, seine Fähigkeit, zu überzeugen und zu begeistern. Er forderte viel, kritisierte, ergänzte, regte an - und würdigte mit anerkennenden Worten.

Leal wurde am 11.September 1942 in Havanna geboren. Bereits als Jugendlicher begeisterte er sich für das koloniale Erbe der Stadt. Er hatte das Glück, vom damaligen Stadthistoriker Emilio Roig gefördert zu werden. Durch seinen Einfluss steigerte sich die Begeisterung zur Leidenschaft. In einem Interview bemerkte Leal: «ohne Emilio Roig hätte es keinen Eusebio Leal gegeben». Seine Ausbildung an der Universität von Havanna beendete Leal mit dem Doktorat in Geschichte und dem Master in Archäologie.

1967 begann unter der Leitung Leals die Restaurierung des «Palacio de los Capitanes Generales». 1971 wurde Leal Direktor des Stadtmuseums und der Oficina del Historiador. Während der Restaurierung des Palastes wurden Dokumente aufgearbeitet und historische Zeugen in der Stadt gesucht, Artikel in der Presse publiziert, Konferenzen abgehalten und Stadtrundgänge organisiert.
Durch die offizielle Anerkennung des historischen Zentrums als Nationaldenkmal wurde ein Budget für die Sanierung gesprochen und die Oficina mit der Durchführung des ersten Fünfjahresplanes beauftragt.

1995 anerkannte der Ministerrat die Altstadt als vorrangige Schutzzone und von hoher Bedeutung für den Tourismus. Mit dem Gesetzesdekret 143 wurde die Grundlage für die Sanierungsarbeiten gelegt, darin wurden die Landnutzung, die Investitionen und die Erwirtschaftung von Einkünften aus Hotel- Handels- und Dienstleistungsbetrieben geregelt.

Bis heute hat der Sanierungsprozess über 13'000 Arbeitsplätze im Bausektor, im Tourismus, in der Gastronomie und im Handels- und Kulturbereich geschaffen.

Als wichtigstes Instrument für die Revitalisierung der Altstadt wurde ein Masterplan erarbeitet, dessen Ziel die Entwicklung und Erhaltung des Historischen Zentrums ist und der sowohl die raumplanerischen, sozioökonomischen und soziokulturellen Aspekte definiert.

Viele städtebauliche Sanierungsprojekte sind bereits ausgeführt, die Plaza de Armas, die Plaza de San Francisco, die Plaza de la Catedral, die Plaza Vieja, die Alameda de Paula oder der Alte Hafen.

Von den architektonischen Projekten sind besonders der Palacio de los Capitanes Generales, die Basilica y el Convento de San Francisco de Asis, der Convento de Belen, die Universität San Geronimo de La Habana, die Festungen La Punta und Real Fuerza oder in neuester Zeit, die Totalsanierung des «Capitolio» hervorzuheben.

Es ist nicht möglich in dieser kurzen Würdigung alle realisierten Projekte aufzuführen. Ergänzend seien jedoch einige der sozialen Projekte in der Altstadt erwähnt. Es sind dies Bauten für betagte Bewohner , für Kinder mit Behinderungen, Mütterberatungsstellen, Gesundheitszentren, Kinderspielplätze, Schulen und Kindergärten.

Im kulturellen Bereich wurden Museen, Konzertsäle, Theater und Bibliotheken restauriert und für alle Menschen zugänglich gemacht. Mit regelmässigen Sendungen am Radio und im Fernsehen wird den Mitbürgern die Geschichte ihrer Stadt nähergebracht.
Jugendliche ab 16 Jahren haben die Möglichkeit, sich in Theorie und Praxis in den Werkstätten der Oficina del Historiador ausbilden zu lassen. Je nach Eignung und Interesse können sie in den Fächern Wandmalerei, Archäologie oder als Elektriker, Maurer, Gärtner, Maler, Kunstschmied, Gipser, Möbelschreiner oder als Kunstglaser eine mehrjährige Berufsausbildung abschliessen.

Weiterhin eine grosse Herausforderung bleibt die Instandstellung und Sicherung von Gebäuden und Wohnungen, die in einem prekären Zustand sind.

Leal war ein ausgezeichneter Redner, in unzähligen Konferenzen, Vorträgen und Reden begeisterte er die Zuhörer mit seinem profundem historischen Wissen und seiner poetischen, eleganten und sehr persönlichen Sprache.

Er verfasste unzählige Artikel für Zeitungen, Zeitschriften, Internationale Kongresse, veröffentlichte Bücher zu Projekten der Oficina und über die Geschichte und Kultur seines Landes. Er pflegte einen intensiven fachlichen Austausch im In- und Ausland.

Immer wieder betonte er, dass dieses enorme Arbeitsvolumen nur dank seinen hoch motivierten Mitarbeitern zu bewältigen sei. Es bereitete ihm Unbehagen, dass sein Name hervorgehoben wurde. «Ohne meine Mitarbeiter und Freunde, die zu den grössten Opfern fähig sind, wäre weder diese noch irgendeine andere Arbeit möglich gewesen (…) , dies ist das Werk der Nation, das Werk Kubas, ein Werk der Revolution».

Als der junger Stadthistoriker mit einer Schubkarre durch die Altstadt ging und wertvolle Gegenstände aus den Trümmern rettete, traf er Fidel an. Dieser interessierte sich für seine Arbeit und fragte ihn, was er brauche. Leal antwortete, er brauche nichts, denn wenn er beginne nach Unterstützung zu bitten, dann werde Fidel nicht wiederkommen.

Mit Fidel verband ihn eine enge und freundschaftliche Beziehung. Ohne die Unterstützung von Fidel und Raul wäre seine Arbeit nicht möglich gewesen. Kuba widerstand während Jahrzehnten einer brutalen und unmoralischen Blockade, trotzdem fand das Land immer wieder einen Weg um voranzukommen.

In einem Interview anlässlich der Fertigstellung des Capitolio wurde Leal nach den Ressourcen gefragt. Dazu meinte er: ohne den Mut, ohne den Willen, ohne die Fähigkeit zu verhandeln und nachzugeben um zu gewinnen, ohne die Fähigkeit zu denken, dass das, was gestern bequem war, heute nicht mehr klug ist, würden alle Ressourcen nicht helfen. Nur wer beharrlich sei, habe Erfolg.
Die Erkrankung in den letzten Jahren habe ihn daran erinnert, dass wir Menschen sind, dass das Leben vergänglich ist und dass das Wichtigste die Arbeit ist. «Ich strebe nach nichts, ich strebe nicht einmal nach dem, was sie Nachkommenschaft nennen; ich strebe nur danach, nützlich gewesen zu sein.»

Zürich, 6. August 2020
Christian Oberholzer

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